Skulpturengarten Neuland, Hamburg

Christin van Talis

Hamburger Autorin

Die stärkere Ausbildung der Persönlichkeit gehört zu allem dichterischen Schaffen.

Der Dichter unterscheidet sich vom normalen Menschen hauptsächlich dadurch, daß er weit stärker individualisiert (ist),

als jener, und so wie er ein Dichter nur werden konnte, indem er diese Individualisierung ohne Rücksicht

auf die Normalität und ihre Anpassungsforderung vollzog,

so kann er als Dichter, wenn etwas dabei entstehen soll, nur seinem eigenen Thermometer folgen,

das oft von der Allgemeinheit abweicht.

(N.H. Kleinbaum)

 

Meine Gedichte

 Mein Dichterinnen-Paradies

 

Dichtung ist Verdichtung der eigenen Existenz

Die Dichter entwerfen (die Propheten verheißen) eine andere Welt als die "bestehende"

und beide arbeiten an den und mit den Gefühlen des "Ungenügens", der Melancholie.

 

Christin van Talis

 

 

 

wer schreibt der bleibt

 

wer schreibt der bleibt im fluss geregelter arbeitszeiten

im rhythmus von ebbe und flut. mit dem hausbooturgefühl

vom bett aus die elbe beobachten endlos himmel erwandern

flashback

teppichklopfen auf nackter haut sich in dern schlaf wiegen

die wippe vor dem haus der himmel mein vater kornblau

nicht hochseetauglich mein gefühl - weiter denken

mit weitblick auf das tiefgrüne wasser dem rauschen zuhören

in wilder nacktheit schreiben und bleiben

beim E10-Experiment bis wir mit pflanzenschnaps

wieder zu kindern mutieren


 

ein gedicht hat gewicht

 

sätze im diätwahn

die stolz sich verse nennen

rennen durch dick und dünn

um aufgebläht

in einer essstörung zu enden

 

bulimie der worte

sich übergeben dem leistungsdruck

schön und schlank deren seele

auf dem laufsteg

tot zusammen bricht

 


 

 

singledasein

 

mein alleinsein

schöpft sandige stille

von durstigen dünen

 

meine augen

eine augenweide

für das möwige meer

 

auf meinen wimpern

weitgereist

nun der salzwind ruht

 

mit jedem schlag

mein blick verblutet

 


 

 

Teppiche des Erwachens


der krieger macht das licht aus verweilt

am rande der großen webstühle wo

die wollmädchen barfuss

das unvollendete werk vollenden

 

den faden nicht verlieren. im dunkel

 

will er nur eine umwerben doch

die blauen teppiche bringen ihn

zum klagen - so kantig die sicht

dem krieger geht ein licht auf

 


 

 

Der grüne Punkt


mit grünem punkt ein  verwilderter hohlmuskel

vom leib getrennt in altpapier eingewickelt o wunder

achtsam in die gelbe tonne gelegt zur wiederverwertung


 

doch grünmüll meine lieber dort fehl am platze. eine frau

nun herzlos umherwandert immer wieder neu auf der suche

nach einem roten gefäß um jemanden ein wildes herz zu schenken

 


 

 wollworte

 

meine gedichte wollen den menschen umgarnen,

eine freundin sein - den tieren eine verbündete

 

meine grünen worte wollen gewebter untergrund,

teppiche zum fliegen sein - in die nacht des erwachens

 

meine gedanken wollen den kindern ein vogel sein,

beflügeln, nachhallen wie ein verstärker - dich warnen

 

vor lieblich wiesen; so weiß die gefährlichen stellen,

federhall für das grün – höre, wie das wollgras singt

 


 

 

prinzip menschlichkeit

meine sehnsucht hat mich
an den strand gespült und
nun bin ich hier in deiner welt
aale mich
mit den regenwürmern
im nassen sand

die zeit der fragen ist
vorbei – warum ein mensch
und kein wurm? wir passen nicht
nur genetisch sondern auch sozial
uns an - könnten in jedem dasein
überleben

in unserem genmüll sind wir
verschieden doch können fliegen
wohin wir wollen
oder auch kriechen
bergauf - bergab

das ist mein letztes ge(n)heimnis
(der junk DNA)

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überleben

manchmal denke ich die einzige zu sein in
einer bizarren landschaft aus stein mit mauern
aus bäumen gerichtet überlebt alles zum schein

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atom-hardliner (20. Mai 2011)


astronomischer frühling auf der nordhalbkugel
flieh bevor der monitor dich gefangen nimmt
im feindflug das morgentliche morden beginnt
unter frischen weidenblättern atom-hardliner

des dichtens tage sind wie ausgangssperre und
irgendwo schnattert eine ente stresstest für
atomkraftwerke verschwunden sind sie
die brennelementkugeln zu viele worte

für eine einzelne strophe - verse in schwarz
gelb - unter dem kimono verstandesraub. wer
bringt den radioaktiven müll raus klopft den
ölteppich aus? die federbetten jetzt online
buchen - kellerschlafplatz für zweihundert euro

mein unabhängiger geist verwaist. auf dem flach
bildschirm betrinken sich hunde und die katzen
feiern das golden zeitalter der computer
bodenlecker fangen an zu demonstrieren

ausstiegsbefürworter „umgürten die lenden
eurer gesinnung“ die enten ihre küken
in tütenmilch der müll wiederaufbereitet laut
aussage der hardliner im nächsten frühjahr

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Reisefreiheit (Freitag, der 13.Mai 2011)

heißer trockner wind in schengengolden
papier gewickelt gestrandet freier
personenverkehr - im sonnentor nach
europa nur demokratischer schein

mein müdes ohr palmengestreift - balzen
nachrichten leise schwatzend auf'm balkon
ein neuntöter hilflos unter meinem
liegestuhl zu fliehn versucht - vergebens

global passen wir nicht ins boot. ich seh
wie menschenschwer schiffe auseinander
brechen, keine luft mehr zum atmen – die
sonne im spiraltanz - schutzsuchende

gebrandmarkt die unerfüllten träume
lebend über bord geworfen um die
götter zu besänftigen weil keiner
wissen will dass mit erkämpfter freiheit

auch die flucht kommt - wo bleibt sie denn
die ausgestreckt' hand die willkommende
flüchtende ins „leben außer Haus“ bittet
die insel der hoffnung nur zum schein? die

blutwinde verschärfte grenzkontrollen
die solidarisch aufnahme weltweit
verhindern - die früchte des zorns keimen
werden keinem land mehr schmecken während

mein zitrusbaum im wind ein blatt verliert
fliegt der neuntöter schnell aus meiner hand
ins dornengebüsch – er liebt es seine
beute mit nackenbissen zu töten

die schädel kleiner wirbeltiere zu
öffnen und das gehirn zu verspeisen
oft spießt er die beute auf dornen und
stacheldraht für die vorratshaltung

reisefreiheit für meine gedanken ...

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ungeküsst

im kopf gewollte leere
ich gebe den blick frei
zungenschläge unbeleckt
in meinem mund verbluten

deine augen die guten glauben
mich zu erweichen mein rückgrat
zu erreichen tief im nacken mein kopf
zur seite gelegt aller ballast mit dir ...

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whiteboard

wie ein whiteboard interaktiv möchte ich
in dieser schwarzen stille per fingerdruck
von dir beschrieben werden um deine
mordgesellen sogleich mit einem trockenen
schwamm aus meinem gedächnis zu löschen

wenn dann dein computer abstürzt und du
neu starten möchtest bin ich als unwort des tages
vom beamer ins nichts projiziert und schreibe mich
ins universum folge dem zauber der neuen technologie

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Ich möchte schlafen …

 
heute beende ich den tag leise
unter grünen palmen. neben oleander
in form gezwängter baum. fremdbestimmt.
musik von der neuen cd. dein lieblingslied. es gibt
kein abendrot in der weißen wolke. keine spur
von dir zu mir. (vom geschriebenen ein sonderbares gefühl)
 
was sagt die wolke? schon als kind habe ich sie nicht verstanden
aber sie kam und ging - irrte heimatlos umher. ihr wolkengesang
zu leise. mein balkon zu klein. kein platz für sie. die weiße mutter
nebenan im blauen bett. heimat aus watte und federn. weine nicht
 
alle brände sind gelöscht. kein abendrot die wolke im blut wandern lässt.
wir verschonten haben uns - die gewissheit es wird noch einmal nacht.
Ich möchte schlafen. du bist unter menschen. ist deine abwesenheit real?
wenn ja, welche reale grenzen habe ich überschritten?
der nachbar niest auf seinem balkon. laut. es hallt im innenhof
will so gar nicht in meine realität passen. die spitze palmenzunge
leckt an meinem ohr der rosmarin dringt in die tiefe meiner gedanken
bis ich ruhig werde. ich atme dein lied - wecke mich nicht
wenn du heimkommst. ich möchte schlafen. die worte gehen mir aus

 


 
 

 

Veröffentlichungen

 

 

 

 

 

           

Christine Geweke: "Jeder Garten eine Kultstätte"                Christin van Talis: Essay "Der Atem der Kunst"

 

 

 

 

EIN JAHR HAUTNAH 2015 - Christine Geweke / Gedichte

 

 

der augen blick doppel klick - Christin van Talis / Gedichte

 

Engeltanz

Christin Geweke - Liebesgedichte

 

Jeder Friedensgedanke ein Gedicht

Hrsg. Christine Geweke

Anthologie

 

 FrauenFriedensgedanken Deutschland - Polen

Hrsg. Christine Geweke

Anthologie

 


 

 

 

 

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